Kritik am Jugendparlament – Goerdeler aus Leipzig verbannen? – Stadtrat verurteilt „Bilderstürmerei“

Das Jugendparlament will das Denkmal für den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler abreißen und den nach ihm benannten Abschnitt des Innenstadtrings umbenennen. Im Stadtrat löst der Vorschlag parteiübergreifend Entrüstung aus.

Bilderstürmerei, geschichtsvergessen, unsäglich: Die Forderung des Leipziger Jugendparlamentes, die Erinnerung an den von den Nationalsozialisten ermordeten früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler (1881–1945) auszulöschen und sein Denkmal niederzureißen, hat über Parteigrenzen hinweg Entsetzen und Unverständnis ausgelöst.

CDU: Widerstand gegen NS-Regime wird verunglimpft

CDU-Fraktionschef Michael Weickert zeigte sich erschüttert, warf den Initiatoren Geschichtsvergessenheit vor. „Die Leistung Goerdelers in dieser Weise zur Disposition zu stellen, diskriminiert den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Urheber dieses Antrages leben auch deshalb in Freiheit, weil mutige Menschen ihr Leben für den Kampf gegen Hitler gaben.“ Es sei immer einfacher, Denkmäler zu stürzen, anstatt sich mit der Geschichte auseinandersetzen. „Dies mag der bequemere Weg sein, aber er entzieht der Erinnerungskultur die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung und überlässt unsere Geschichte den politischen Extremen“, warnte Weickert.

Das Jugendparlament hatte die Stadt aufgefordert, das Porträt Goerdelers aus der Galerie der Oberbürgermeister im Neuen Rathaus zu entfernen, das Denkmal für den früheren OBM bis Ende 2024 abzubauen und den Goerdelerring umzubenennen. Sie begründen dies mit „dem Wirken Goerdelers in Leipzig von 1930 bis 1936/37 sowie seiner antisemitischen Grundhaltung“. Goerdeler war von 1930 bis 1936 Oberbürgermeister in Leipzig.

Grüne: Demokrat, als viele Demokraten zu Nationalisten wurden

Auch bei den Grünen stieß der Antrag auf Unverständnis. „Grundsätzlich wenden wir uns gegen Bilderstürmerei, im Besonderen gegen die Totalität dieses Vorschlages“, erklärte Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft. „Goerdeler ist eine spannende historische Person, weil er, nach dem Ersten Weltkrieg Nationalist und Revanchist, es aber geschafft hat, gerade in den 20er- und frühen 30er-Jahren zum Demokraten zu werden, als viele Demokraten zu Nationalisten wurden“, sagte sie. „Er hat die Hakenkreuzfahne nicht am Rathaus hissen lassen, bevor sie Staatsflagge war, er hat sich während einer laufenden Boykottaktion der SA demonstrativ mit jüdischen Händlern getroffen, er ist zurückgetreten, weil er nicht hinnehmen wollte, dass das Denkmal für Mendelssohn Bartholdy aus antisemitischen Gründen abgebaut wurde. Danach hat er sich im Widerstand engagiert und ist deswegen schließlich ermordet worden.“

Ob eine Neubewertung seines Wirkens im Lichte von Veröffentlichungen aus den Jahren 2003 und 2019 wirklich notwendig sei, solle im Rahmen der Beratungen über den Antrag im Stadtrat geklärt werden. Kritische Auseinandersetzung heiße aber nicht Löschung, sondern aktive Beschäftigung und Erinnerung im öffentlichen Raum. Krefft: „Genau darum muss es gehen: In welchem Kontext wurde gehandelt, welches Wissen gab es, welche Schichten und welche Vielschichtigkeit stecken in einer Person, in einer Biografie, in einem Werk.“ Deshalb gebe es heute noch in Leipzig eine Straße, die nach Ernst Moritz Arndt oder dem Antijudaisten Martin Luther benannt ist, sei der vom Gartenbauer und NSDAP-Mitglied Gustav Allinger konzipierte Richard-Wagner-Hain nicht eingeebnet, sondern saniert – auf Vorschlag der Grünen aber mit einer Stele zur kritischen Einordnung versehen worden.

Freibeuter: Personen im Kontext ihrer Zeit betrachten

„Es ist wichtig, das Wirken historischer Persönlichkeiten im Kontext ihrer jeweiligen Zeit und die Geschichte reflektiert zu betrachten, anstatt sie einfach anhand heutiger Maßstäbe zu beurteilen und sofort Umbenennungen vorzunehmen, wenn Widersprüche auftreten“, hieß es auch von der Freibeuter-Fraktion.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Falk-Thoralf Günther nannte Goerdeler einen der führenden Köpfe im Widerstand gegen das NS-Regime, der dafür hingerichtet wurde. Es sei richtig, dass auch an Menschen wie ihn erinnert wird. „Denn der Widerstand gegen den Nationalsozialismus hatte mehrere Gesichter, er war eben nicht nur links, sondern mitunter auch konservativ“, so Günther. „Und wenn man sich mit dem Wirken der Widerstandsgruppe um Goerdeler befasst, fällt auf, dass er Kontakte zu Oppositionellen aus verschiedenen politischen Lagern suchte und pflegte, um gemeinsam mit ihnen zu versuchen, das NS-System zu überwinden.“

AfD: Es spricht mehr für Goerdeler als gegen ihn

Seine Fraktion werde den „unsäglichen Antrag“ ablehnen, sagte auch AfD-Fraktionsgeschäftsführer Christian Kriegel. Er wies darauf hin, dass Goerdeler vor der Machtergreifung Hitlers ins Amt des Oberbürgermeisters gekommen und kein Nationalsozialist gewesen sei. Er sei aktiv im Widerstand gegen Hitler gewesen und habe dafür mit seinem Leben bezahlt. „Es spricht mehr für Goerdeler als gegen ihn“, sagte er.